Mittwoch, 1. September 2010

Nicht viel Neues vom anderen Ende der Welt

Heute kann ich nichts Aufregendes berichten, was wohl daran liegt, dass ich mich richtig gut eingelebt habe und diese Woche bisher ganz normalen (Schul-)Alltag hatte. Mein Englisch wird von Tag zu Tag (noch) besser. Am Montag konnte ich meiner Lehrerin sogar eine Kurzzusammenfassung von "Kabale und Liebe" geben - das hat man davon, wenn man das falsche T-Shirt traegt. Ihre Schlussfolgerung war, dass das eine sehr traurige Geschichte ist, ungefaehr wie "Romeo und Julia". Ja richtig, am Ende sind jeweils beide tot ;-) Weiter wollte ich das Thema auf Englisch dann doch nicht ausdiskutieren. Auch weil meine Klasse das nicht so spannend fand...
Am Montag haben wir mit Hiromi wieder eine japanische Mitschuelerin bekommen. Ihr Englisch ist nicht so gut und ich glaube, sie ist die Schwaechste in unserer Klasse. Das macht den Unterricht immer schwieriger, weil wir immer groessere Leistungsunterschiede haben. Naechste Woche ist Marc nicht mehr da und ich hatte schon Sorge, dass ich dann immer alleine von der Klasse verstossen werde. Allerdings hat mir Lindsay heute gesagt, dass ich wohl in eine andere Klasse komme. Ich fuerchte, meine Versuche Marc davon abzuhalten, ein kleiner Macho-Spanier zu werden, sind bisher fehlgeschlagen... Ich werde schauen, was ich bis zum Ende der Woche noch tun kann.
Durch unsere zwischenzeitliche Abwesenheit von der Klasse, verpassen Marc und ich leider einige lustige Anekdoten, die mir dann zum Glueck Anna und Stephanie nachtraeglich erzaehlen. Zum Beispiel haben sie letzte Woche uebers Heiraten gesprochen, worauf Abdul erzaehlt hat, dass seine Mutter fuer ihn eine Vorauswahl von fuenf Frauen trifft, wovon er sich dann nur noch eine auswaehlen muss. Als Lindsay ihn darauf fragte, was mit der Liebe sei, meinte er: "Maybe after." Ja, da fragt man sich doch, warum wir uns einen Kopf machen, wo doch alles so einfach sein koennte. Vielleicht kann mein Papa mir schon mal fuenf Maenner aussuchen, bis ich zurueck komme. Das waere spitze!
Heute mussten wir uns gegenseitig etwas diktieren und ich hatte Hiromi als Partnerin. Leider wusste sie bei so ziemlich keinem Wort, wie man es schreibt und ich musste mehr buchstabieren als diktieren. Es war unwahrscheinlich schwierig fuer mich geduldig zu bleiben - genau genommen ist mir das nicht wirklich gelungen und zumindest Lindsay hat mir meine Genervtheit angemerkt, was mir sofort leid tat. Natuerlich macht Hiromi alles so gut wie sie eben kann. Ich habe also versucht mich zu beruhigen und Hilfslehrerin zu spielen und mir gesagt, dass ich es ab Januar wahrscheinlich mit viel nervigeren Faellen zu tun habe. Die kann ich dann aber wenigstens in meiner Sprache unterrichten...
Am Nachmittag durfte ich mich dann ein bisschen erholen, da eine Stunde lesen auf dem Programm stand. Die Schule hat eine ganz gute eigene Bibliothek, aus der wir uns ein Buch aussuchen durften. Naja, mit Aussuchen war nicht viel bei mir, da Lindsay mich fragte, ob ich denn nicht "Jane Eyre" lesen moechte, das sei doch bestimmt etwas fuer mich, zumindest von der Schwierigkeit her. Klar wollte ich :-) Mir ist zwar noch nicht klar, wie ich da bis naechsten Freitag durchkommen soll, aber Lindsay hat mir freundlicherweise angeboten, mir ihr Exemplar zu leihen, solang ich in Neuseeland bin. Irgendwie gefaellt mir der Gedanke, mit einem Meisterwerk der englischen Literatur in der Tasche durchs Land zu reisen und es dann am Ende wieder zureuck zu schicken :-)

Leider hat sich die Planung bezueglich meines Farmaufenthalts noch einmal verschoben, da ich erst am 15. September auf die Farm kann. Mein Unterricht endet am 10. September, also habe ich 4-5 Tage Zeit um  irgendwie auf der Nordinsel herum zu reisen. Ich weiss allerdings noch nicht genau, wie ich das mache, da meine Ideen heute in der Touristeninfo grausam zerstoert wurden - im Winter bzw. beginnenden Fruehjahr fahren nicht so viele Busse und ich brauche fuer jede noch so kurze Strecke ewig oder muss an irgendwelchen Orten uebernachten, an denen ich nicht bleiben will. Wenn ich nicht so grosse Freude am Routeplanen haette, haette ich wahrscheinlich schon aufgegeben. Aber so warte ich gerade, dass ich heute Nacht oder morgen einen grossartigen Einfall habe.

Ansonsten fuehre ich nette Unterhaltungen mit meiner Gastmutter waehrend des Abendessens, wobei wir auf dem Sofa sitzen und gleichzeitig Nachrichten schauen, was immer noch seltsam fuer mich ist. Erstens bin ich es eigentlich gewohnt, zum Essen am Tisch zu sitzen und zweitens habe ich es von klein auf gelernt, waehrend der Nachrichten leise zu sein, damit Papa sie sehen bzw. hoeren kann ;-) Wir unterhalten uns also waehrenddessen, wobei mich Englisch sprechen und gleichzeitig zuhoeren mittlerweile kaum mehr ueberfordert... Neulich sind wir auf den 2. Weltkrieg zu sprechen gekommen, was wahrscheinlich immer noch unvermeidbar ist, wenn man als Deutsche ins Ausland geht. Meine Gastmutter erzaehlte mir, dass Neuseeland das Land war, dass gemessen an der Einwohnerzahl die meisten Verluste hatte (die neuseelaendischen Maenner kaempften in der britischen Armee). Und nachdem Japan Pearl Harbor angegriffen hatte und wohl jeder dachte, dass das naechstes Ziel Australien waere, entschieden sie sich, Richtung Neuseeland zu ziehen. Das war fuer Neuseeland natuerlich ein riesiges Problem, da die Maenner in Europa kaempften und keiner da war, um das Land zu verteidigen. Ich fand das alles sehr spannend und werde zuhause mal etwas darueber lesen. Wieder einmal wurde mir deutlich gemacht, dass ich waehrend des Studiums vielleicht nicht unbedingt einen moeglichst grossen Bogen um die Zeitgeschichte haette machen sollen...

Da ich sonst nicht allzuviel zu tun habe, konnte ich in Ruhe ueber Kundas Worte nachdenken und bin mit Annas Hilfe auf die Idee gekomme, dass er "You're very strong!" auch genau so meint. Starke Frau eben ;-) Nee im Ernst, ich habe das Gefuehl, dass in asiatischen Laendern das Bild einer starken Frau noch nicht so verbreitet ist und die Frauen sich eher zurueckhalten und nicht gleich sagen, was sie denken. Da Kunda etwas aufgedreht und ein bisschen verrueckt ist und mir gleich ziemlichen Bloedsinn erzaehlt hat, habe ich entsprechend schlagfertig geantwortet. Das war wohl neu fuer ihn, auch da Franziska, die ja die erste deutsche Frau war, die er hier kennengelernt hat, seine Sprueche einfach ignoriert und gar nicht geantwortet hat. Wie auch immer, ich werte seine Aussage als Kompliment und hoffe, dass er seine Angst noch irgendwie in den Griff bekommt ;-)

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